Gottfried Michael Koenig gehört zu den seltenen Geistern, die – wie schon Schönberg – wissen, dass der goldene Mittelweg zu keinem Ziel führt. Ihr umfassender Blick auf Heute und Gestern wird für die Entwicklung des heutigen Musikdenkens entscheidend sein, vor allem wenn es sich um ein neues Medium wie den Computer handelt. Sie sind es, die nach jedem neuen Schritt neue Fragen stellen können, die den Auswahlprozess weitertreiben. (Nieuwe Rotterdamse Courant, 31. Oktober 1986)
Elektronische Werke
Klangfiguren II
Der junge G.M. Koenig hat mit seinem Stück eine unerhörte Kenntnis der neuen Materie bewiesen, eine deutliche Virtuosität, mit ihr sinnvoll umzugehen. (Darmstädter Echo, 4. Juni 1956)
Seine sind die reinsten elektronischen Stücke von allen – sauber, hart, unspektakulär, wundervoll. (WIRE, Sept. 1991)
Essay
Gottfried Michael Koenig gibt mit seinem “Essay” eine Klangstudie, die durch Kontrapunktik frei geführter Tonlinien, also durch entfernte Anklänge an traditionelle Musiziermethoden fesselt. (Der Tagesspiegel, Nr. 3817)
Funktionen
Die farb-kodierten Funktionen sind brillant: witzige, prägnante Übungen im Stereo-Kontrapunkt. (WIRE, Sept. 1991)
Was mich vor allem fesselt, wenn ich diese Stücke höre, ist, dass Koenig keinen Versuch unternimmt, die normale Raumerfahrung oder psychoakustisches Verhalten zu simulieren… Es ist wichtig, die Musik dieser Sammlung [CD BVHAAST9001/2] zu hören, wo es dem Komponisten darum geht, die Klänge und ihre Transformationen so abstrakt zu präsentieren, wie sie sind… Diese Musik begibt sich jenseits unserer kulturbedingten Wahrnehmungsgrenzen. (LEONARDO, 2/1 1992)
Instrumentale Werke
Zwei Klavierstücke
Gottfried Michael Koenigs Zwei Klavierstücke gehören zum Besten, was in diesem Rahmen jemals geboten wurde. Die komplizierte Anlage in “Schichten” ist nur Mittel zum Zweck; im Vordergrund blieb die harmonische Ausgewogenheit. (Neuer Kurier, Wien, 24.11.1960)
Quintett für Holzbläser
Ein rundes Vierteljahr lang war Gottfried Michael Koenigs “Bläserquintett” vor der Uraufführung in der Probenarbeit gewesen. Die Beteiligten im Kleinen Sendesaal konnten vom Ergebnis befriedigt sein: die Ausführenden, weil sich der 34jähriger Kölner Elektronen-Schüler inzwischen offenkundig mit dem Besten vom Besten im Bläser-Kunsthandwerk vertraut gemacht und seine Schreibart darauf eingestellt hat, und das Publikum, weil es aus Koenigs Zeitfahrplan manch interessanten, gutklingenden Auf- und Abbau der Registerschichten, der Farb- und Verzierungsdichte, der körperhaft wirksamen Akkord-Senkrechten heraushörte. (Die Welt, 28. April 1960)
Streichquartett 1959
Das dem LaSalle Quartet gewidmete Werk von Koenig, Quartett 1959, ist eine gläserne, brüchige Angelegenheit voller interessanter Stiche an unerwarteten Stellen. Es piepst, ist dünn, wie abgemagert, und kommt, wie in vielen Stücken der heutigen jungen Leute, mit wenigen Tönen aus, wo ihre Vorgänger viele brauchten… Koenigs Musik ist mutig und frech, sie zieht ein Gesicht und sagt “blah”. Das eine eine Haltung, die ich grundsätzlich lobenswert finde. (The Post & Times-Star, 6. April 1960)
Koenig findet seinen Ausgangspunkt bei Webern… Sein Quartett ist paradoxe Musik voller winziger Abweichungen und ebenso winziger Bestätigungen eines vertrauten Fragments, das verschwindet, ehe es erkannt oder begriffen werden kann. Koenig treibt ein wildes, phantastisches Spiel mit uns, indem er beweist, dass zwei mal zwei gleich fünf, oben unten ist; Regelmass und Konvention sind rückständig. Schliesslich haben alle Künstler ihre Tricks, zumindest solche mit Sinn für Ironie, unter denen man häufig die besten findet. (Cincinnati Enquirer, 6. April 1960)
Segmente 99–105
Besonders überzeugend war die völlig originelle Weise, wie die Instrumente sich zueinander verhielten: unvorhersehbar aber im Nachhinein stets gerechtfertigt in ihrem ganz eigenartigen Dialog. Ebenso erstaunlich war das Gleichgewicht von „Tonalität” und „Atonalität” (erstere eher durch Wiederholung von Tongruppen als durch Akkordfolgen definiert ). Kurzum, Segmente war ein gut gearbeitetes, ausbalanciertes Werk. (Computer Music Journal, vol. 7, no.2, 1983)
3 ASKO Stücke
Dieses Werk, ein Instrumentalstück, mit Hilfe eines Computers komponiert, warf aufs neue die Frage nach algorithmischer Musik auf. Die Aufgabe des Komponisten ist zweifach: erstens muss er sein Arbeitsgebiet und seine Entscheidungskriterien abstecken. Zweitens muss er alle wichtigen musikalischen Variablen definieren und sie in Begriffen eines Programms, das der Computer versteht, festlegen. Es war außerordentlich interessant, dass schon beim ersten Hören der Zusammenhalt “primitiver” musikalischer Elemente (Dichte, Reduktion, Spannung, Lösung, Vorhersehbarkeit) in einer so natürlichen Weise trotz automatischer Abarbeitung deutlich wurde. Insgesamt ein vorzügliches Werk, wurden die 3 ASKO Stücke hervorragend gespielt und dirigiert. (Computer Music Journal, vol. 9, no. 2, 1985)
Hier hat die Maschine nicht die üblichen synthetischen Klänge erzeugt, sondern statt dessen selbst komponiert – und zwar nach Maßgabe des Programms, das Koenig gemacht hatte und worin sein eigentlicher Beitrag zu diesem Werk bestand. Die Ausführung der Komposition war für den Computer eine Angelegenheit von etwa einer Minute. – Koenig hatte dem Computer durch das Programm zwar genaue Vorgaben gemacht, er hatte ihm aber auch Freiräume gelassen, in denen der Computer selbst – per Zufallsgenerator – entscheiden konnte, wie es jetzt weitergeht. Die Maschine hat also, und das ist der entscheidende Unterschied zur elektronischen Musik der fünfziger Jahre, komponieren gelernt. Damals nämlich mussten die Komponisten in mühseliger Handarbeit zuerst Klänge erzeugen, sie dann verändern und sie schließlich zu einem Stück zusammenkleben – synthetische Klänge konnte man damals schon erzeugen, aber es gab noch keinen Computer, der einem dabei geholfen hätte. (Darmstädter Echo, 29. 12. 1986)
Segmente 92–98
Die prägnante Tonsprache des Siebzigjährigen ist derart formbewußt, daß sie jeden Ton und jede Figur ohrenfällig im Gefüge des Ganzen verankert und zugleich zu immer neuen Verbindungen bewegen kann. (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19.9.1996)
Gottfried Michael Koenig fordert in den Segmenten 92-98 für Violine und Violoncello den Musikern komplex-virtuose Spielfiguren ab. Quasi systematisch erprobt er kontrapunktisches Zusammenspiel, Soloeinlagen und ein Agieren in Grenzbereichen, das eine merkwürdig fragile Klanglichkeit zur Folge hat. (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24.9.1996)
Segmente 85–91
Gottfried Michael Koenigs “Segmente 85-91” von 1984 für Flöte, Bassklarinette und Violoncello: hochdifferenzierte Formprozesse ein und desselben Materials in immer andere, variantenhaft sich fortentwickelnder Dichte und Kontur. Koenig gab mit seiner Musik, und die Musiker mit ihrem phänomenalen Spiel, die Antwort auf die Frage nach dem Verhältnis von Verstand und Sinnlichkeit in der Kunst: nicht zwei in Balance zu bringende Teile waren zu hören, sondern eine unteilbare Einheit. (Frankfurter Rundschau, 11. Sept. 1995)
Geradezu “musikantisch” klängen diese Stücke, sagte musica-nova-Programmchef und Moderator Veit Erdmann einleitend. Wohl meinte er damit nicht das vage Wohlgefühl, das sich zuweilen beim unreflektierten Drauflosfiedeln einstellt. Das vom Rechner nach seriellen Verfahren organisierte Material erfuhr, nach gründlicher Analyse, eine pointierte “Interpretation” (so Koenig), und Angelika Bender (Flöten), Thomas Löffler (Klarinetten) und Wolfgang Lessing (Cello) gelang eine ebenso logische wie spannende und lebhafte Realisierung. Viel zu selten werden Koenigs komplexe, allemal Hörvergnügen bereitende – von den Interpreten immense Arbeit verlangende – Werke aufgeführt. (Schwäbisches Tageblatt, 3. April 2000)
Beitrag
Beitrag ist ein großformatiges, gänzlich instrumentales Werk für fünfundzwanzig Instrumente, dessen Partitur auf einem Computer mit Koenigs bekanntem PROJEKT 1 generiert wurde. Die Komposition ist gereifter Koenig, hervorragend orchestriert und mit großer orchestraler Dynamik. Obwohl vielleicht ein bisschen zu lang, ist es doch ein wichtiges und bedeutendes Werk: Koenig hat nochmals eine höhere Stufe auf dem Gebiet der automatisierten Komposition erreicht; die Aufführung war eine überzeugende Demonstration dafür, dass dieses Verfahren in den richtigen Händen authentische Musik hervorbringen kann. Das Werk besteht aus sieben Teilen mit sehr präzisen Lautstärkeverteilungen. Im Mittelpunkt des Geschehens steht mal das Blech, mal das Schlagzeug, mal das Klavier; dadurch entstehen interessante Klangfarben und strukturelle Überrschneidungen. Mehr als in früheren Werken hat Koenig im Beitrag seine große Erfahrung in der Formalisierung musikalischer Strukturen mit einem verfeinerten Sinn für Orchestrierung und den dynamischen Klangfarbenverlauf erfolgreich verschmolzen. (Perspectives of New Music, 1986) Gottfried Michael Koenigs computer-errechnetes Ensemblestück “Beitrag” [ist] ein artistisch ausbalanciertes, sensibel durchgehörtes und koeniglich ausdruckskühles Klangpuzzle. (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1986)
Streichquartett 1987
Was die Musiker spielen, ist eine Art Gedankenaustausch: kurz und bündig, aber expressiv gespannt. Hinter allem aber steht eine Streichquartett-Tradition, der späte Beethoven zumal. Koenig hat diese Tradition subtil gefiltert. (Darmstädter Echo, 10.8.1988)
Theoretische Schriften
Ästhetische Praxis
Koenig hat über die 40 Jahre seit dem ersten Aufsatz das Niveau ohne jeden Abstrich gehalten. So ist denn diese Ästhetische Praxis, was Gehalt und Relevanz anbelangt, in der Neuen Musik nach 1945 konkurrenzlos. (Positionen, Mai 1994)
Es werden unschätzbar wertvolle Einblicke in ästhetische und physikalisch-klangliche Konzepte einer Zeit geboten, die unter dem Paradigma des mittlerweise überstrapazierten Postmoderne-Verständnisses in nur allzu weite Ferne gerückt ist… So lassen sich Koenigs Texte einerseits als klar formulierte theoretische Diskurse … lesen, ermöglichen andererseits aber einen packenden Eindruck des unentwegten Neu- und Umformulierens, des Relativierens und des Ausbauens gedanklicher Ansätze, Vermittlungsformen konzeptueller Ideen und Erkenntnisse. (Neue Zeitschrift für Musik, Nov. 1992)
Koenigs Originalität als Komponist und Theoretiker ist wohlbekannt. Weniger bekannt ist ein sozialkritischer Zug, der aus der Frankfurter Schule stammt und seine frühen Schriften durchzieht. Für den amerikanischen Leser ist besonders die Vorstellung einer Computer-Verwendung in der Musik interessant, die nicht der “computer music” entspricht, indem sie einen kritischen Blick auf die gedankenlose Hinnahme von Technologie wirft. Koenig artikuliert in seinen Schriften deutlich eine “europäische” Vorstellung von der Funktion des Computers in der Musik und in der Kunst überhaupt, die stark von den anspruchsvollen Reflexionen über elektronische Musik in der Tradition der Kölner Schule beeinflusst ist. (Koenig gehört jedoch keiner “Schule” an.) Koenigs frühe Schriften sind häufig dicht formuliert, aber immer lesenswert. Man kann nur hoffen, dass es von einigen seiner Texte in Zukunft auch eine englische Ausgabe geben wird. (Computer Music Journal, Winter 1996)